Hilfsmittel – verordnet, geprüft, bewilligt?
Hörgeräte, Prothesen, Rollstühle – was sind Hilfsmittel und wer bekommt sie von der Krankenkasse bezahlt? Und welche Rolle spielt der Medizinische Dienst dabei? Im Interview gibt Dr. med. Rashid Eboe, Gutachter des Medizinischen Dienstes Hessen, Einblicke in den Arbeitsprozess und erklärt, mit welchen Herausforderungen Gutachter konfrontiert sind.
Herr Dr. Eboe, Sie sind Chirurg sowie Orthopäde und Unfallchirurg. Seit Juni 2023 sind Sie für den Medizinischen Dienst Hessen als Gutachter tätig. Was hat Sie dazu bewegt?
Hier habe ich die Möglichkeit, gemeinsam mit einem Team von hochspezialisierten, sehr berufserfahrenen Kolleginnen und Kollegen eine angemessene Hilfsmittelversorgung für die gesetzlich Versicherten zu ermöglichen. Diese Aufgabe hat mich gereizt und nach einem guten Jahr beim Medizinischen Dienst Hessen kann ich sagen, dass wir nicht nur eine spannende und komplexe Arbeit leisten, sondern auch einen sehr wichtigen Beitrag für das gesamte System.
Was genau sind Hilfsmittel und welchen Zweck erfüllen sie?
Hilfsmittel sind technische Medizinprodukte wie z. B. Hörgeräte, Gehstützen, Rollstühle, Medizinprodukte zur Blutzuckerkontrolle und -einstellung, Sauerstoffgeräte und viele andere. Sie werden kranken, pflegebedürftigen oder Menschen mit Behinderung verordnet, um ihr Leben zu erleichtern. Ziel ist es, den Erfolg einer Krankenbehandlung sicherzustellen, möglichen Behinderungen vorzubeugen oder Funktionseinschränkungen auszugleichen.
Dr. med. Rashid Eboe, Chirurg sowie Orthopäde und Unfallchirurg, ist seit Juni 2023 als Gutachter des Medizinischen Dienstes Hessen tätig. In dieser Funktion begutachtet er komplexe Einzelaufträge, um sicherzustellen, dass die Verordnung medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist.
Wonach entscheidet der Vertragsarzt, denn wir bewegen uns ja im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, wann ein Hilfsmittel verordnet werden muss?
Der Vertragsarzt entscheidet und verordnet in der Regel nach medizinischer Indikation und den Vorgaben der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss sowie dem Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes. Das Verzeichnis ist in 42 Kapitel gegliedert und umfasst über 40.000 verordnungsfähige Hilfsmittel. Hinzu kommen weitere Medizinprodukte, die vergleichbar mit den Hilfsmitteln und ebenfalls verordnungsfähig sind. Beides kann allerdings nur zu Lasten der Krankenkassen oder Pflegekassen verordnet werden, wenn die Situation nicht auf andere Weise gebessert werden kann, zum Beispiel durch geeignete Maßnahmen in Eigenregie oder ausreichende, frei verkäufliche Produkte.
Wann begutachtet der Medizinische Dienst und warum?
Die Krankenkassen können die Medizinischen Dienste mit einer sozialmedizinischen Begutachtung beauftragen. Gerade wenn es sich um komplexe oder besonders aufwändige Versorgungen handelt, wenden sich die Krankenkassen an die Medizinischen Dienste. Bei Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid der Krankenkasse muss eine Begutachtung durch den zuständigen Medizinischen Dienst erfolgen, wenn die Krankenkasse die Ablehnung aufrechterhalten möchte.
Wie verläuft ein solcher Begutachtungsprozess?
Die Krankenkasse beauftragt den Medizinischen Dienst mit einer sozialmedizinischen Begutachtung. Dafür stellt sie uns die Verordnung, ärztliche Befunde und nach Möglichkeit weitere relevante Informationen zur Verfügung.
Zunächst sichtet ein Gutachter diese Unterlagen und prüft, ob sie im Hinblick auf die Fragestellung vollständig und aussagekräftig sind. Manchmal sind noch zusätzliche Unterlagen erforderlich oder es muss sogar eine körperliche Untersuchung stattfinden. Nur so können wir dann beurteilen, ob das beantragte Hilfsmittel medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Das Ergebnis der Begutachtung wird als gutachterliche sozialmedizinische Empfehlung schriftlich an die Krankenkasse übermittelt.
Zumeist folgt die Krankenkasse dieser Empfehlung, sie muss es aber nicht, da aus Sicht der Kasse auch weitere Aspekte in ihre Entscheidung einfließen können.
Gibt es Fristen für die Erstellung der Gutachten?
Ja. Die Fristen für die Hilfsmittel-Begutachtung sind in den Sozialgesetzbüchern V, IX und XI geregelt. Nach Auftragseingang im Medizinischen Dienst braucht die Kasse – je nach Verordnungsziel – unser Begutachtungsergebnis innerhalb von zwei oder drei Wochen..
Gibt es bestimmte Kriterien, die eine Überprüfung wahrscheinlicher machen?
In erster Linie geht es um eine angemessene, qualitativ gute Hilfsmittelversorgung für alle Versicherten. Besonders aufwändige oder außergewöhnliche Versorgungen werden von den Krankenkassen ebenso zur Begutachtung vorgelegt wie relativ einfache Verordnungen, die nur geringe Kosten verursachen. Entscheidend ist immer, ob eine Verordnung nachvollziehbar ist oder nicht.
Welche Hilfsmittel werden am häufigsten von der Krankenkasse zur Überprüfung beauftragt?
Es gibt keine spezifischen Hilfsmittel, die häufiger begutachtet werden als andere. Bei bestimmten Hilfsmitteln wie z. B. Prothesen, Kompressionshilfsmitteln und Diabeteshilfsmitteln gibt es jedoch eine gewisse Häufung.
Was sind die größten Herausforderungen in Ihrer Arbeit?
Eine der größten Herausforderungen ist die Informationsflut. Wir müssen für jede Begutachtung eine Fülle von Unterlagen sichten und die für uns relevanten Informationen herausfiltern.
Das Begutachtungsergebnis soll der individuellen Situation des Versicherten angemessen sein und gleichzeitig mit den gesetzlichen und untergesetzlichen Normen übereinstimmen.
Gab es Fälle, die besonders herausfordernd waren oder bei denen Sie dachten, da stimmt etwas nicht?
Die Herausforderung besteht grundsätzlich darin, alle Informationen miteinander in Einklang zu bringen und die angemessene Versorgung für die jeweiligen Versicherten zu finden. Ich verdeutliche es gerne an einem Beispiel. Für jemanden mit einer Fußheberschwäche gibt es sehr gute, direkt einsatzbereite Hilfsmittel. Wenn aber zusätzlich eine Fußdeformität vorliegt, ist unter Umständen eine spezielle Orthese notwendig, die auf den Versicherten angepasst werden muss. Diese Betrachtung der ganz individuellen Situation macht unsere Arbeit so vielfältig und spannend.
Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Einblicke in Ihre Arbeit.